Anni Mertens, LUX
Sandra Schwender im Gespräch mit Anni Mertens (*1995)
Du hast unter anderem deinen Master of Fine Arts in der Abteilung Keramik und Glas in Gent absolviert. Was fasziniert dich an diesen Materialien?
Ton ist das zentrale Material, das ich in meiner Praxis verwende. Mein ganzer Körper ist beteiligt, wenn ich eine Tonmasse forme. Es ist ein Material, das unmittelbar auf den Druck der Hände und des Körpers reagiert. Durch den Gebrauch meiner Finger und Handflächen aktiviere ich die Erde. Ich weiß, wenn ich in den Ton drücke, wird er an anderer Stelle wieder herauskommen. Ich kann sehr fein und sensibel mit ihm modellieren und gleichzeitig grob mit ihm arbeiten. Es gibt eine unmittelbare Reaktion des Materials, genauso wie die unmittelbare Beziehung zwischen Denken und Machen. Das passt gut zu meiner intuitiven Arbeitsweise. Keramik braucht viel Zeit. Zwischen dem nassen, lederharten oder knochentrockenen Zustand versuche ich herauszufinden, wann der richtige Moment ist, um die langen, extrudierten Formen zu biegen. Wann hält das Material der Biegung stand, obwohl das Objekt bereits zu trocknen begonnen hat? Wann führt die Biegung zum Bruch? Wenn etwas bricht, ist es unwiderruflich in das Material eingeschrieben. Das Material hat ein Gedächtnis. Wenn Keramik Belastungen ausgesetzt ist, wie z. B. falsche Handhabung, Brüche, zu viel warme Luft, werden die Fehler nie vergessen. Es gibt dieses ständige Hin und Her zwischen zerbrechlich und stark, weich und hart. Das Material befindet sich in einem ständigen Übergang, es durchläuft mehrere Stadien. Was ich mit den keramischen Objekten, die ich herstelle, erreichen möchte, ist der Moment der Verwirrung, diese kurze Sekunde, in der man nicht weiß, was man da sieht. Der Betrachter wird gereizt und getäuscht. Der Drang zu berühren, zu drücken und zu sehen, was mit dem Objekt passiert. Die Taktilität der Skulptur wird wichtig, sogar provokativ, um diese Spannung zu erzeugen, dass man nicht weiß, was es ist, aber wissen will, was es ist. Hier löse ich die Neugier durch eine Illusion aus, indem ich nach einem ‚Trompe l’oeil’ suche. Bei keiner anderen Form der Kunstherstellung macht man die gleiche Erfahrung, wenn man ein Ergebnis so plötzlich offenbart sieht. Nach dem Glasieren einer keramischen Arbeit ist man entweder schockiert oder überwältigt vor Freude, wenn man die Türen eines Keramikofens öffnet. Meine Arbeiten zeichnen sich durch ihre gekniffenen, gefalteten und zusammengefallenen Formen und ihre farbenfrohen Oberflächen aus. Die Chemie der Glasurherstellung fordert mich heraus, neue Rezepte zu erfinden, um glatte, raue oder glänzende Texturen zu schaffen.
Gab es zu Beginn wichtige Einflüsse?
In den letzten Jahren hat sich meine Arbeit um Ideen und Visionen entwickelt, die vom Dadaismus und Surrealismus inspiriert sind. Der Drang, eine neue Realität zu schaffen, in eine Umgebung einzutauchen, die keinen Sinn ergibt. Eine Welt, in der die Dinge ausnahmsweise einmal nicht allzu ernst genommen werden müssen. In der zeitgenössischen Bildhauerei interessiere ich mich für die Arbeit von Franz West, der die Grenzen der Bildhauerei verschiebt und ihre Funktion neu erfindet. Seine Objekte werden durch das Publikum aktiviert, da sie sich dem Körper des Betrachters anpassen. Er bricht mit dem Tabu, Kunstwerke in einem Museum zu berühren. Es ist faszinierend, wie er mit Erwartungen und dem Drang zur Berührung spielt. Meine skulpturalen Installationen befinden sich zwischen der realen und der surrealen Welt, und irgendwie verweigern sie sich einer festen Position und Bedeutung. Ich habe bereits erwähnt, dass ich recht intuitiv arbeite. Ich schaue mir etwas an, das ich gemacht habe, und eine kleine Glocke läutet. Es ist nicht wichtig, warum die Glocke läutet, ich weiß nur, dass es eine Möglichkeit gibt, etwas auszupacken und auf diesem Weg weiterzugehen. Auf diese Weise tauche ich in einen Arbeitsablauf ein, bei dem ich mit den Materialien und Objekten, die mich im Atelier umgeben, spiele und sie neu zusammensetze. Der Gedanke des Spiels, des Absurden und des Humors ist eine ständige Inspirationsschleife bei der Arbeit an neuen Ideen. Ich mag es, wenn etwas Lustiges in einer Arbeit die Leute beruhigt. Erst lachen sie, und dann fangen sie an, nachzudenken.
Welche Arbeiten zeigst du beim PARS?
Für den PARS fordere ich mich selbst heraus, die Grenzen des Materials zu erweitern und in einem größeren Maßstab mit Keramik zu arbeiten. Man kann dieselbe visuelle Sprache erkennen, die ich zuvor hatte, aber mein Ziel ist es, sie in eine lebensgroße Skulptureninstallation zu übersetzen, in der man in ein Theater des Absurden eintauchen kann. In dieser Szene, die ich kreiere, folgt der Betrachter einem roten Faden im Raum. Eine Palme erhebt sich aus dem Boden und blattähnliche Formen aus Keramik bilden die Krone des Baumes. Daneben liegen sieben Keramikringe auf dem Boden, die an aufblasbare Objekte erinnern. Die Ringe sind ineinander verschlungen und bilden eine Kette.
Eine Keramikfahne hängt an einem Stock, der an der Wand befestigt ist. Es ist unklar, was die Fahne ankündigen soll. Vielleicht ist sie ein Symbol für die Gelassenheit, das Glück und den Spieltrieb, genau so wie die Form der Fahne es auch verkörpert. Ein Stück weiter steht eine kurze Stange mit einer Skulptur an der Spitze. Die Skulptur ist etwas zwischen dem Figürlichen und dem Abstrakten. Sie nimmt die Form eines losen Seils an. Diese vier Elemente – die Palme, die aufblasbaren Gegenstände, die Flagge und das an der Säule befestigte Seil – bilden eine irgendwie vertraute, aber auch seltsame Szene. Man erkennt Dinge aus dem alltäglichen Leben wieder, aber die Szene erschließt sich nicht. Sie könnte an einen Hafen erinnern, einen Übergang oder öffentlichen Ort. Der Betrachter kann ein- und ausgehen, um die Skulpturen herumgehen und die ganze Installation wirkt wie ein Portal, durch das man in den nächsten Raum gelangt. Ich möchte ein Gefühl dafür schaffen, wie es ist, wenn man sich an einen Ort erinnert, an dem man noch nie zuvor gewesen ist. Eine Mischung aus nostalgischen, delirierenden, aber auch fröhlichen Gefühlen kommt auf, wenn man durch die Installation wandert. Durch die verdrehten Formen folgt der Betrachter den Farbspuren und kann das Werk aus verschiedenen Blickwinkeln erkunden.