Sarah Niecke (*1984), SB
Die spezies-übergreifende Beziehung zwischen Mensch und Hund ist eine der gewöhnlichsten, die man sich vorstellen kann. Der Hund ist das Haustier, das dem Menschen sozial am nächsten steht. Auch genetisch sind Hund und Mensch sich nah. Der Hund leidet an Krankheiten wie Alzheimer, Epilepsie, Neurodermitis oder Krebs. Seine Rolle ist im stetigen Wandel, mal ist er Arbeiter, Gesellschaftsmitglied, Konsument, Ware, genetisches Material. Donna Haraway fragt in Manifest für Gefährten: „Wie können wir durch das Entstehen von Hund-Mensch-Beziehungen eine Ethik und Politik lernen, die signifikante Andersartigkeit gedeihen lässt? Wie können Geschichten über Hund-Mensch-Beziehungen endlich davon überzeugen, dass Geschichte und historisches Wissen in Naturkulturen von Bedeutung ist?“
Diese Überlegungen und weitere sind der Nexus meiner kommenden Gedanken, auch ich möchte (m)eine Geschichte von Hunden und Menschen erzählen. Ich lebe seit vielen Jahren mit Hunden zusammen, ich bin mit diesen bereits früh sozialisiert worden. Viele Menschen glauben, dies habe wahrscheinlich zu einer Art verhaltenstherapeutischer Optimierung meiner menschlichen Eigenschaften wie Empathie, Verantwortungsgefühl und Authentizität geführt. Es ist möglich, dass mir durch jenes Miteinander-Sein besondere epistemische und ethische Kenntnisse erfahrbar geworden sind. Interaktionen mit Lebewesen, die uns Feedback geben und eine Wesenheit präsentieren, ein Gegenüber, ein Signifikantes Anderes sind, bieten durchaus immer solche Potentiale, diese Annahme ist längst in Pädagogik, Bildung und Therapie überführt. Mit Companion Species umschreibt Donna Haraway diese wesentliche Relationalität, ein gemeinsames Werden, das für sie die Welt konstituiert. Zentral ist hierbei, dass es bei diesen elementaren Verbindungen nicht um Beziehungen der Wahl oder harmonische Relationen geht, sondern um eine faktische ontologische Verwobenheit. Es ist an der Zeit, unsere Wissenschaft und unser Wissen einer kosmologischen Geschichte zu öffnen. Denn: „wir sind keine äußeren Beobachter der Welt. Wir befinden uns aber auch nicht einfach nur an bestimmten Orten in der Welt; vielmehr sind wir ein Teil derer in ihrer fortlaufenden Intraaktivität.“ Intraaktivität bei Karen Barad meint das Tätigsein der Materie als Agens, sie verbindet Quantenphysik und Philosophie zu einer Onto-epistemo-logie.
Die Geschichte von Menschen und Hunden exemplifiziert eine Geschichte gemeinsamen Werdens. Meine Geschichte erzählt die von meinem Hund Toni: Toni kam aus einem Animal Rescue Programm. Es ist anzunehmen, dass die in den frühen Lebensjahren stattgefunden Gewalterfahrungen durch Menschen ihn in seiner Beziehung zu diesen maßgeblich geprägt haben. Toni hatte also so etwas, was man Verhaltensprobleme nennt, sein Verhalten gegenüber anderen Menschen und Hunden war von Misstrauen und Unsicherheit geprägt. Auch nach ausgiebigen Trainings und Therapiestunden (so ausgiebig, wie ich mir es leisten konnte, es summieren sich hier schnell exorbitante Geldbeträge) blieb die Erkenntnis, dass ein normales Miteinander ohne physische Gefahren füreinander nie unbeschwert möglich sein werde. Für hilfsbedürftige Hunde, die nicht devot bzw. ängstlich, sondern entschieden aggressiv auftreten, gibt es nicht besonders viel Verständnis in unserer Gesellschaft, zu groß sind die Ängste, die Stereotypen von sogenannten Kampfhunden, die Frustration über ihre Nicht-Verfügbarkeit. Unsere Geschichte war von vielen unvermeidlichen Konfrontationen geprägt. Das gemeinsame Leben war oft eine Zerreißprobe, es gab außerhalb unserer privaten Umgebung keine unbeschwerte Selbstverständlichkeit. Meine Beziehung zu Toni, der im Februar 2022 mit zehn Jahren unerwartet an einem Tumor verstarb, war sicherlich eine mögliche Form von Liebe. Es geht mir hier nicht um Sentimentalität, sondern um Verantwortung in der Sorge, die wir füreinander tragen, unumgänglich für und mit allen Lebewesen und Systemen. Diese Beziehung zwischen uns ist privat und politisch zu gleich. Sich fundamentaler Konnexionen bewusst zu werden, erschließt sich nicht einfach nur darin, „(…) altruistisch zugunsten des Untergebenen zu plädieren, sondern in der Hoffnung, eine Möglichkeit zu finden, von unserer eigenen Endlichkeit Rechenschaft abzulegen.“ „Um das Leben als Ganzes zu sehen, musst du es als Sterblicher sehen. Ich sterbe, du stirbst; wie könnten wir einander sonst lieben? Die Sonne brennt aus, wie könnte sie sonst scheinen?“
In Erinnerung an Toni.