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Dorothee Herrmann (*1950), TR

„denk ich: Heimat“ – Diesen Obertitel gibt die Künstlerin ihren vier Werken und möchte damit zum Ausdruck bringen, dass Kunst und Leben für sie keine abgegrenzten Bereiche sind. Das aktuelle Weltgeschehen wie auch Kindheitserinnerungen spielen dabei eine Rolle. In einem Winzerdorf an der Mosel aufgewachsen zu sein bedeutet, auch in der Tradition und Eintönigkeit eingebunden zu sein. Die Arbeit blickdicht erzählt davon. 10 Glasrahmen zeigen Bruchsteinmauerstücke, die keinen Fernblick zulassen. Ein verschlossenes Fenster. Eine Enge, aus der man ausbrechen möchte, um die Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Leben verwirklichen zu können. Die vorbeifahrenden Schiffe verbindet sie mit dem Wunsch, neue Welten zu entdecken. Entfaltung erleben. Viele wagen diesen Schritt, um der Perspektivlosigkeit ihrer Heimat zu entkommen, viele Nachrichten berichten von gefährlichen und traumatischen Überfahrten.

Sehnsucht treibt die Menschen. vom träumen handelt von einem sehr beladenen Boot, welches seine Reise nicht fortsetzen kann. In Reih und Glied liegen beschriftete Schieferplatten auf dem Grund. Visionen, Wünsche und Lebensvorstellungen konnten sich nicht erfüllen. Der römische Philosoph und Naturforscher Seneca inspirierte die Künstlerin, seine Zitate mit auf den Weg zu geben. Vom Wagen und Scheitern handelt unsere Realität und auch von der Ohnmacht, nicht allen Vertriebenen Hilfe anbieten zu können. Viele sind auf der Flucht. Die aktuelle politische Lage und die Invasion russischer Truppen in die Ukraine versetzt viele Anrainerstaaten in Unruhe. rührmichnichtan 2023 ist eine aktuelle Arbeit hierzu. Der drohende Verlust von Heimat hat Dorothee Herrmann zu einer Installation in Form eines schützenden Nestes veranlasst.

Die Öffnungen an den weißen Keramikkugeln sehen wie Verletzungen aus, sie haben die Formen der Länder, die sich von Allmachtsphantasien bedroht fühlen. Das gestrickte Gestrüpp wurde von ihr mit einer Strickliesel hergestellt, einer kleinen Vorrichtung zur Anfertigung von Strickschnüren, die schon seit Jahrhunderten, besonders von Kindern, zur Handarbeit genutzt wird. Keramik und Strickarbeit bedeuten auch Identifikation mit Kulturlandschaften, mit Brauchtum und Zugehörigkeit. Heimat als bedrohter Lebensraum. Auch die Tier- und Pflanzenwelt leidet unter Vertreibung durch das menschliche Handeln. wo bitte ist das meer? fragen die Fische, die durch eine mit idyllischen Szenen bedruckte und bemalte Fläche in den Lebensraum der Menschen eindringen. Die zweiteilige Installation besteht aus dunklen Fischköpfen aus Keramik und zwei mannshohen Tapetenfeldern, die von Dorothee Herrmann selbst bedruckt wurden, und zwar mit Motiven aus der Natur! Ein Widerspruch, auf den sie aufmerksam machen möchte. Wir Menschen brauchen einen stabilen natürlichen Lebensraum und doch zerstören wir Umwelt und Städte. Ein respektvolles Miteinander findet nicht statt. Das Thema Heimat ist sehr ambivalent, eine Welt im Wandel braucht gerade im digitalen Zeitalter Stabilität, Wertschätzung und Identität.