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Lisa Kohl, LUX

Sandra Schwender im Gespräch mit Lisa Kohl (*1988)

Welche Themen faszinieren dich im Besonderen? Wie reflektieren diese sich in deinen Foto- und Videoarbeiten?

Mich faszinieren gesellschaftliche Räume, die sich durch eine Abwesenheit von Identität auszeichnen. Dabei lege ich den Fokus hauptsächlich auf Transiträume, Grenzzonen, no man’s land. Ausgangspunkt meines Schaffens sind oft Orte, an denen niemand lebt, es sind Hybridräume, geografische Grenzen, die ich aufsuche, um Erfahrungen zu sammeln, die Orte zu erleben. Die Analyse und Erforschung von Migrationskontexten, Grenzen und Nicht-Orten ist Teil meiner künstlerischen Recherche. Mein Ansatz basiert hierbei auf einer politischen und poetischen Vision des Territoriums, des Transitraums und des menschlichen Übergangs: Meere, Wüsten, Militärbasen, Flughäfen, Autobahnen, Hafenanlagen, Lager, brachliegende Orte. Von einer Dringlichkeit ausgehend suche ich die Nähe zu dem Menschen (humain), dem Ort und dem Nicht-Ort, an dem er lebt oder überlebt – diese sind Auslöser meines kreativen Schaffens. Persönliche Eindrücke, geprägt von realen Momentaufnahmen aus Alltagssituationen, sowie Zeugenaussagen von Betroffenen markieren meine künstlerische Recherche um die Schwerpunkte Flucht und Exil, Anwesenheit und Abwesenheit, Verortung und Ortlosigkeit. Die Verknüpfung von menschlichen Spuren und Landschaftsfragmenten soll den Begriff der Grenze und seine damit verbundenen Wunden in Frage stellen. Ich möchte hierzu hauptsächlich den Fokus auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit „subversiver Lebensräume“ richten.

Die Serie BLINDSPOT verweist beispielsweise symbolisch und auf poetische Weise auf die Zuflucht und die Aneignung anonymer Lebens- und Gebetsräume. Meine Absicht besteht darin, imaginäre Räume zu beleuchten, denen das Fragile, die Sehnsucht und das Erlebte innewohnt – dabei möchte ich der Frage nachgehen, wie diese Orte sich parallel als Überlebens- und Widerstandsräume erweisen können.

Die Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Kontexten hat die sozialpolitische Dimension meiner Projekte entscheidend beeinflusst. Die Erfahrungen vor Ort sowie der Austausch mit Betroffenen und Schutzbedürftigen haben einen Einfluss auf die persönliche und emotionale Ebene in meinen Werken. Die angewandten Medien variieren je nach Projekt, ich würde sagen, dass ich die Fotografie mit einer bildhauerischen Herangehensweise angehe. Es ist für mich elementar, die Werke innerhalb eines Dialogs zu begreifen, während ich Klang- und skulpturale Elemente und Materialien, die aus diesen verschiedenen Kontexten meiner Feldforschungen stammen, einbeziehe.

Welche Arbeiten zeigst du beim PARS?

Beim PARS plane ich vier medienübergreifende Arbeiten zu präsentieren, die aus unterschiedlichen Kontexten stammen und dabei miteinander in Dialog treten. (Bild, Video, Sound, skulpturale, haptische und materialbezogene Elemente sollen Erfahrungs- und Berührungsräume schaffen.) Dabei handelt es sich um eine skulpturale Video-Soundinstallation namens ACROSS (2022) die uns mit einer brutalistischen Fensterarchitektur und dem Ausblick in die Weiten des Himmels, gesäumt von sich auflösenden Wolken- Clustern, konfrontiert. Es wird auch eine Auswahl der Fotoserie HALIDOM (2022) zu sehen sein. Diese Serie zeigt uns Räume des Übergangs; Sinnbilder für die Sehnsucht nach Freiheit und Erlösung.

Die Fotografie BLINDSPOT (2022) verkörpert auf metaphorischer Ebene die Anwesenheit der Abwesenden und die Sichtbarkeit der Unsichtbaren. Das Video THE GAME (2022) erzählt vom Leben und Überleben von Menschen mit Migrationserfahrungen und bedient sich ästhetischen Mechanismen des Gamings.

Besonders in der heutigen Zeit, wie wichtig ist es dir, diverse, eventuell politische Themen anzusprechen und in deinen Kunstwerken auszudrücken?

In meiner Herangehensweise halte ich es für notwendig, Betroffenheit, in Bezug auf sozialpolitische Entwicklungen, auf künstlerische Art zu veräußern, die Kunst als Medium der Sichtbarmachung und Sensibilisierung zu nutzen. Als Künstlerin sehe ich mich jedoch zunächst in der Rolle, auf sensible Weise poetische Fragen zu stellen. Mir geht es hauptsächlich darum, einen Blick auf die Gesellschaft zu werfen, in der wir leben – und dabei Assoziationsräume herzustellen und auf Themen hinzuweisen, die mich bewegen und von denen ich mich betroffen fühle. Ich möchte Besucher*innen das eigene Eintauchen durch Visuelles, aber auch spürbaren Sound, ermöglichen, Empathie schaffen und sensibilisieren sowie Erfahrungsräume und meditative Stimmungsräume schaffen. Werkbeispiele hierfür sind: HAVEN, ACROSS, STOWAWAY. Vielleicht gelingt es der Kunst dabei als Sprachrohr zu fungieren und unseren Blick und unsere Sicht zu untersuchen und zu transformieren. In meinem Schaffen möchte ich hinterfragen, was wir als Kunstschaffende beitragen können und in welcher Form und für welches Publikum dieser Beitrag geleistet werden kann. Ich frage mich, wie wir Unbemerktes, Ungesehenes sichtbar machen können und ob das selbst Erfahrbare der einzig fruchtbare Weg des Gehörschaffens ist. Hierbei möchte ich existenzielle Fragen aufwerfen, die mich als Subjekt in der Interaktion mit Erfahrungen und Beobachtungen ergründen. Dabei ist es für mich essenziell, mich direkt auf das Feld zu begeben und in Berührung zu treten. Wie lässt sich dem Unvorstellbaren näherkommen, ein Spannungsverhältnis zwischen Realität und Repräsentation aufbauen? Assoziationsräume zu schaffen und damit die Wirklichkeit auf andere Weise zu beleuchten, ist zentraler Bestandteil meiner künstlerischen Arbeitsweise. Entstanden auseinem realen Kontext wird ein Erfahrungsraum eröffnet, der den mir begegneten Menschen und der zu problematisierenden Thematik ein Gehör verschafft. Die orts-und situationsgebundenen Interventionen, Plastiken und Bilder deuten auf unser kollektives Gedächtnis, welches auf dialogischer Ebene, innerhalb meiner Werke, poetisch hinterfragt wird.