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Darja Linder (*1992), SB

In der ausgestellten Werkreihe setzt sich Darja Linder unter anderem mit in unserer Gesellschaft vorherrschenden Stereotypen und zeitgenössischen Rollenbildern von Frauen* auseinander. Ihre Gemälde untersuchen strukturelle Ungleichheiten. An der Schnittstelle zwischen Feminismus und Klassismus betrachtet sie sozialpolitische Problemstellungen, sowie die stereotypisierte Rolle der Frau*, in die wir noch immer zurückfallen. Vor allem in Bezug auf Sexualität, heteronormatives Dating und Beziehungen, sowie „care work“ befinden wir uns in einer eher prekären Situation. Die Fetischisierung und Objektifizierung von Frauen* geschieht in allen Lebenslagen, aber besonders in den Aspekten des Lebens, die sich um Liebe, Sexualität, Fürsorge, Emotionen und Empathie drehen. Sex und Sexualität werden als Waffe gegen Frauen* eingesetzt. Sie können jedoch auch zur feministischen Gegenwehr dienen: Darja Linder setzt mit ihren Motiven die eigene Sexualität und die ihrer Portraitierten als selbstironisches Werkzeug ein, sich diese Fetischisierung zu eigen zu machen. Neben dem Portrait als Herzstück der Arbeit, in welchem Darja Linder Frauen* aus ihrer Community malt – in eigens von ihr designter und im Winter 2022 verkaufter Unterwäsche – bilden auch Handschuhe in verschiedenen Ausführungen eine zentrale Symbolik: Handschuhe dienen zum Schutz vor Verbrennung und Verletzung, aber auch vor Verschmutzung und Ungewolltem, sie können Ausdruck von Luxus (z. B. als Seidenhandschuh), aber auch der Arbeiterklasse sein und sie sind auch in vielen Fetischen zentral.

Die portraitierten Frauen* und -Hände eignen sich die Macht ihrer eigenen Sexualität an und benutzen sie als aggressiven Protest gegen vorherrschende Strukturen. Sie ziehen daraus ein Selbstbewusstsein, das auch einschüchternd wirken kann. Der (selbst-) ironische künstlerische Ansatz in einer solchen Art der Aneignung von fragwürdigen Rollenbildern zeigt auch, dass es hier nicht um eine Verherrlichung geht, sondern um die kritische Auseinandersetzung mit noch immer vorherrschenden Verhältnissen. Denn „girl bossing” funktioniert schlecht, wenn frau* prekär lebt und ständig mit Benachteiligungen konfrontiert wird; trotzdem ergreifen (die portraitierten) Frauen* die Initiative und nutzen ihre Sexualität als Macht- und Protestmittel.

Intersektionaler Feminismus kämpft immer auch gegen kapitalistische Strukturen, in denen bereits marginalisierte Gruppen noch einmal stärker diskriminiert werden. Frauen* sind häufiger von Armut betroffen, arbeiten öfter in unterbezahlten Berufen und üben zudem den größten Teil von „care“-Berufen aus, in denen sie sich quasi emotional prostituieren müssen. Neben „care work“ im professionellen Sinne fällt auch privat ein Großteil der Fürsorge auf Frauen* zurück. In dieser Werkreihe setzt sich die Künstlerin mit Aspekten feministischer Rebellion auseinander: Der Umgang mit einer toxischen Dating-Kultur, Gefahren im Alltag und (Selbst-)Schutz, sexistischen vs. feministischen Frauen*bildern, sexueller Ausbeutung, aber auch Statussymbolen, finanzieller Unsicherheit und Kapitalismuskritik findet in zeitgenössischen, teils populärkulturellen und mikrokontextuellen Symboliken (z. B. „9€-Zicke“, „red flags“ und „hot girl winter“) Ausdruck.

„Anstatt den Zeigefinger zu erheben, sollen meine Malereien spielerisch den Fokus auf übersehene Perspektiven lenken und neue Gedankenprozesse anstoßen. Ich gebe Menschen und Geschichten eine Bühne, die sie sonst nicht erhalten. In ihren individuellen Erfahrungen steckt auch das Kollektive, sowohl politisch, historisch als auch ästhetisch.“

Katja Pilisi und Darja Linder