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Tessy Bauer, LUX

Sandra Schwender im Gespräch mit Tessy Bauer (*1981)

Deine Arbeiten sind multidisziplinär und bedienen sich verschiedener Medien. Wie gehst du an neue Projekte heran? Wie inspirierst du dich?

Mit den Jahren habe ich mir verschiedene Arbeitsweisen und Themenbereiche angeeignet. Seit meiner Jugend liebe ich es, meine Umwelt zu beobachten, den Lauf der Dinge, die Menschen und ihre Alltagsrituale zu hinterfragen. Die Bushaltestelle finde ich zum Beispiel sehr spannend oder auch Wartezimmer, Flughäfen, all diese Zwischenräume, wo Menschen zufällig zusammenkommen und ihr soziales Gesicht zeigen. Es sind jene Verhaltensmuster, die jeder von uns gelernt hat, so wie die Manieren bei Tisch zum Beispiel oder die antrainierte Geduld in der Supermarkt-Schlange. Wir bedienen uns dauernd dieses kulturell verankerten Vokabulars. Mich interessieren zurzeit besonders die Rituale um die Geburt und um das Sterben. Wie kommt man in die Welt und wie verlässt man sie? Meistens sticht mir bei meinen Recherchen ein Alltagsgegenstand ins Auge. Diesen benutze ich oft als Ausgangspunkt. Es ist häufig ein Element, das mich sehr fasziniert und dann fast wie eine Ikone funktioniert. Indem ich einen Gegenstand aus seinem ursprünglichen Kontext rausnehme, wird er zu etwas Neuem wie zum Beispiel in meiner Arbeit Eis Eis Baby von 2010, in der ich die Sieger-Pokale vergessener Sportler in Eisbecher verwandelt habe.

Welche Arbeiten zeigst du in der Ausstellung des PARS? Kannst du mir mehr zum Prozess deiner Arbeiten erzählen?

Die Arbeit Homard Chéri ist 2022 im Kontext der Cecil’s Box, der Vitrine des Cercle Cité in Luxemburg Stadt entstanden. Ich ließ mich vor Ort von dem Feinkostladen gegenüber inspirieren. Außerdem habe ich diesbezüglich einige Kindheitserinnerungen. Ich erinnere mich zum Beispiel genau an das Gefühl, wie die roten Hummer mich von ihrer Theke aus zu beobachten schienen. Diese Arbeit markiert auch den Moment, als ich als Mutter zweier Kinder wieder begonnen habe, als Künstlerin an größeren Projekten zu arbeiten. Ich hatte also große Lust, Gegenstände aus der Zeit des Kleinkindes zu verändern. Somit transformierte ich die Kinderwiege, legte einen Hummer aus Stoff hinein und ein kleiner Motor lässt das Ganze sanft schaukeln. Es gehört auch zu meiner Arbeit, dass ich gerne Dinge zusammenbringe, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, um so einen Zustand von Absurdität zu erzeugen. Für die Ausstellung in Trier habe ich diese Arbeit weiterentwickelt und es wird parallel ein Wiegenlied zu hören sein.

Die zweite Arbeit, die ich in Trier zeigen werde, ist meine aktuellste. Es ist ein Wandteppich, doppelseitig bearbeitet, den ich im Stil des Patchworks realisiert habe. Beeinflusst vom Besitz eines Wandteppichs, der schon seit Jahrzehnten in meiner Familie ist, kommt mir die Thematik des Erbes in den Sinn. Ich frage mich auch hier wieder, was von uns bleibt und was wird gehen, wie Abschied und Tod in unserer Kultur verstanden wird. So stolperte ich in meiner Recherche über Mary Wigman’s Hexentanz bis hin zu einer sehr beliebten Disziplin der Malerei, dem so genannten Memento mori. Ich bin dann darauf gestoßen, dass man die bekannte schwarze Piratenflagge auch als ein Memento mori sehen kann. Das Motiv des Totenkopfes symbolisiert sozusagen die Wertschätzung des Lebens und gilt gleichzeitig als Ermahnung: „Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst“. Auch in der Anfangszeit der Luftfahrt haben sich die Piloten oftmals Totenköpfe auf die Flugzeuge gemalt, als Schutz und Warnsignal zugleich. Dies war ausschlaggebend dafür, dass ich die eine Seite des Wandteppichs in sehr düsteren, dunklen Farben gestalten wollte. Dazu kommen graphische Elemente, die ich klar von der Piratenflagge abgeleitet habe. Die andere Seite ist hell, luftig und soll die Lebendigkeit darstellen. Während meiner Forschung zum Thema Erbe ist mir aufgefallen, dass wenn Frauen Mütter werden, die meisten Kinder den Namen des Vaters tragen. Das ist immer noch der übliche Vorgang, der den Mann offiziell zum Vater macht und ihm dadurch eine gewisse Dominanz verleiht. Die Wirkung der Aussage ‚Sohn von…’ hatte schon immer großes Ansehen. So verschwinden in der Geschichte alle Mädchennamen der Mütter. Also fing ich an, meine Familiengeschichte aufzurollen und habe den Stammbaum mütterlicherseits bis ins Jahr 1850 zurückverfolgen können. Um nicht in Vergessenheit zu geraten, werden nun jene Mädchennamen samt den Geburtsjahren mittels Stickerei auf der hellen Seite des Wandteppichs „eingraviert“. Daneben erkennt man die stilisierte Form einer Frucht, die auch eine Vulva sein könnte, ein Symbol des Neuanfangs, der Liebe und des Lebens.